Überfällig: Ein Kommentar zur Verschärfung der Reisehinweise in die Türkei

01-08-2017

Die unlängst ergangenen Verschärfungen der Reisehinweise durch das Auswärtige Amt für Reisen von deutschen Staatsbürger*innen in die Türkische Republik waren richtig und vor allem überfällig. Dass die Türkei inzwischen nur noch auf dem Papier ein Rechtsstaat ist, wissen wir nicht erst seit der Verhaftung des deutschen Menschenrechtaktivisten Peter Steudtner. Bereits in den letzten Jahren hat die islamisch-konservative Regierung unter Recep Tayyip Erdoğan in großem Umfang rechtsstaatliche Mechanismen Stück für Stück außer Kraft gesetzt oder schlicht missachtet. Seit dem gescheiterten Putsch-Versuch im vergangenen Juli hat diese Entwicklung nochmals deutlich Fahrt aufgenommen: Zehntausende wurden aus dem öffentlichen Dienst entfernt, mit Berufsverboten belegt oder verhaftet. Betroffen sind neben Personen, die die türkische Regierung dem Kreis der Anhänger*innen von Fethullah Gülen zurechnet, vor allem Kurd*innen, Alevit*innen, Aramäer*innen sowie weitere Minderheiten und Menschen, die sich in irgendeiner Weise in Opposition zur Regierungspolitik befinden.

Die deutlich härtere Gangart der vergangenen 12 Monate bekamen aber auch Ausländer*innen zu spüren. Neben dem bekannten Fall des Welt-Journalisten Deniz Yücel ist unter anderem auch die Übersetzerin und Journalistin Meşale Tolu als deutsche Staatsangehörige betroffen. Der übliche Vorwurf: Unterstützung oder Beförderung des Terrors. Dass den konsularischen Vertreter*innen hierbei der Zugang zu den Inhaftierten erschwert oder gar verwehrt wird, ist mehr als eine bloße Nicklichkeit in den Ränkespielen der Macht. Es ist schlicht eine Missachtung von Regeln, zu denen sich auch die Türkei völkerrechtlich verpflichtete. Aber dort, wo Recht und Gesetz – nach Innen wie Außen – ihre Allgemeingültigkeit verlieren und der Beliebigkeit politischer Interessen geopfert werden, hört Rechtsstaatlichkeit auf zu existieren. An der Diplomatie und der Außenhandelspolitik der Bundesregierung hatte dies bisher kaum Veränderungen hervorgerufen: Deutsche Firmen können nach wie vor Rüstungsgüter in die Türkei exportieren und selbst Pläne des Rüstungskonzerns Rheinmetall, in der Türkei einen Standort für die Produktion von Panzern zu errichten, sind noch aktuell.

Die Verhaftung Steudtners hat nun auch in Berlin das Fass zum Überlaufen gebracht: Es kann beinahe schon als wohltuend empfunden werden, dass die Bundesregierung es nicht mehr beim Naserümpfen belässt, sondern in ihrer Wortwahl und ihrem Handeln an Deutlichkeit gewonnen hat. Mehr als ein diplomatisches Muskelspielen ist die Verschärfung der Reisehinweise freilich nicht. Eine unmittelbare Rechtswirkung geht von ihnen nicht aus. Diejenigen im Land und auch darüber hinaus, die Erdoğan und seiner Politik die Treue halten, wird das sicher wenig stören. Sie fühlen sich allenfalls noch darin bestätigt, dass ihr Idol zu Unrecht dafür Missbilligung erfahre, dass er mit harter Hand regiere. Und dennoch ist das Siegel, welche die türkische Regierung in der vergangenen Woche von einem weltpolitisch nicht völlig unbedeutenden Player auf die Stirn geklebt bekam ein Malus, der nicht unterschätzt werden darf. In Ankara ist man langsam aber sicher dabei, den Bogen zu überspannen. Das sagen nun inzwischen immer unverhohlener auch die, die man über Jahrzehnte als nahezu bedingungslose Freunde an seiner Seite wissen konnte.

Zu wünschen bleibt, dass sich die politische Lage in der Türkischen Republik möglichst bald dahingehend entwickelt, dass niemand – Einheimische wie Gäste – mehr Angst haben muss, willkürlich in Haft genommen zu werden und dass das autoritäre Erdoğan-Regime Demokratie und Rechtsstaatlichkeit wird weichen müssen. Dann könnten nicht nur die Menschen in der Türkei, die aus ethnischen, religiösen oder politischen Gründen derzeit Repressionen ausgesetzt sind, endlich aufatmen. Dann können endlich auch wieder Menschen aus aller Welt ohne Besorgnis in den Schmelzpunkt von Orient und Okzident reisen, um Gastfreundschaft, Landschaft und die kulturelle Vielfalt zu genießen. Anzeichen für eine solche Entwicklung gibt es derzeit aber leider keine.

Es kommentierte Kai Bekos