Offener Brief der Deutsch-Kurdischen Juristenvereinigung an die Bundesregierung Deutschland zum militärischen Angriff und Einmarsch der Türkei am 9.Oktober 2019 in Nordsyrien

11-10-2019

Wir, die Deutsch-Kurdische Juristenvereinigung e.V., fordern die Bundesregierung und die Europäische Union auf, sofort drastische Maßnahmen gegen die militärischen Angriffe und den Einmarsch der Türkei in Syrien zu ergreifen.

Der Einfall des NATO-Partners Türkei in das Nachbarland Syrien stellt eine völkerrechtswidrige Verletzung des Gewaltverbotes nach Artikel 2 Nr. 4 UN-Charta dar. Nach dieser grundlegenden Rechtsnorm des modernen Völkerrechts haben alle Mitgliedsstaaten der UN in ihren internationalen Beziehungen  jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt zu unterlassen.

Das Gewaltverbot ist das Herzstück der UN-Charta, denn insbesondere mit ihr hat die Staatengemeinschaft dem früher geltenden Recht zum Krieg (ius ad bellum) endgültig den Rücken gekehrt. So bekennt sich die UNO-Staatengemeinschaft in ihrer Präambel zur UN-Charta dazu, „künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren“. Seit dem kennt die Völkerrechtsordnung nur noch ein Recht gegen den Krieg, damit also nur noch das Recht zur Selbstverteidigung.

Dieses Ziel wird durch den erneuten militärischen Einmarsch der Türkei in ihr Nachbarland in eklatanter Weise verletzt, denn die Türkei kann sich nicht auf das Recht zur Selbstverteidigung berufen: Sie wurde vom Nachbarland Syrien weder angegriffen noch bedroht.

Die Bundesregierung Deutschland darf daher nicht ein zweites Mal den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg seitens der Türkei und ihren terroristischen Verbündeten billigen. Im Jahr 2018 ist Erdogan mit der Unterstützung von Terrormilizen, die damals friedliche und weitgehend sichere Region Afrin einmarschiert. Die dort lebende kurdische Minderheit wurde massakriert und die gesamte Region systematisch ausgeplündert und zerstört.

Bereits zum Einmarsch in Afrin hatte der wissenschaftliche Dienst des Bundestages in der völkerrechtlichen Bewertung der „Operation Olivenzweig“ „Zweifel an der Verhältnismäßigkeit des militärischen Vorgehens der Türkei“ im Hinblick auf das „Vorliegen einer Selbstverteidigungslage“ geäußert und das Fehlen des „Beweis[es] für das Vorliegen eines das Selbstverteidigungsrecht auslösenden `bewaffneten Angriffs“ bestätigt (Quelle: Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages, Aktenzeichen: WD 2 – 3000 – 023/18, abrufbar unter https://www.bundestag.de/blob/546854/07106ad6d7fc869307c6c7495e-da3923/wd-2-023-18-pdf-data.pdf). Damals hat die Welt darüber geschwiegen und die Europäische Union sowie allen voran die Bundesregierung die Drohungen Erdogans, die Flüchtlinge nach Europa zu lassen, gefürchtet und tatenlos zugeschaut.

Nun marschiert Erdogan ungestört in den Nordosten Syriens. Der Angriff der türkischen Armee auf die Bevölkerung Syriens führt zur Destabilisierung der Region und dem Aufleben der Schläferzellen des Islamischen Staats (IS). Dadurch wird dem IS die Möglichkeit gewährt, in dem verursachten Chaos erneut die Macht zu erlangen. Die ersten Angriffe terroristischer Schläferzellen wurden bereits in Rakka und Ras Alain ausgeführt. Durch die Konzentration der kurdischen Streitkräfte auf die Abwehr der türkischen Angriffe entsteht ein Vakuum, das die Rückkehr des IS ermöglicht.

Neben den Kurden sind weitere in der Umgebung lebende Minderheiten (Assyrer, Eziden, Aramäer, Armenier usw.) den Kampfflugzeugjets der Türkei ausgeliefert.

Wir appellieren an die Bundesregierung und die NATO- Mitgliedsstaaten diesen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg durch ein NATO-Mitgliedsstaat und den Einsatz von Kampfflugzeugen gegen die zivile Bevölkerung zu beenden. Wir fordern die Türkei dazu auf, den Angriff sofort zu stoppen und ihre Streitkräfte sowie ihre terroristischen Verbündete zurückzuziehen.

 

Deutsch Kurdische Juristenvereinigung e.V.